„Energizing a Sustainable Industry“ ist das diesjährige Motto der Hannover Messe. Eines der obersten Ziele dafür muss sein, eine Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, die diesen Namen verdient. Doch dafür müssen komplexe Hindernisse überwunden werden. Das Beispiel eines Abfallrecyclers zeigt, wie es gehen kann.

Riesige Transportbänder rattern laut durch eine große Halle, Menschen in Schutzkleidung und mit Atemmasken arbeiten daran im Akkord. Über ihnen saugen große Abzugsschächte alles auf, was die Arbeiterinnen und Arbeiter nach oben halten. Was klingt wie ein Szenario aus einem düsteren Hollywood-Film, ist raue Wirklichkeit, z. B. bei einem Müllsortierunternehmen, das in den USA zu unseren Kunden zählt. Das Sortieren von Abfällen ist körperlich schwere und auch gefährliche Arbeit: Um überhaupt nennenswerte Mengen zu bewältigen, muss sie in hoher Geschwindigkeit erfolgen. Zwischen den Abfällen können sich scharfkantige, explosive oder schädliche Materialien befinden. Und trotz aller Routine unterlaufen immer wieder Fehler bei der Sortierung der verschiedenen Stoffe.

Genau das ist aber das Problem. Denn wenn beispielsweise Kunststoffabfälle nicht sortenrein – also exakt nach Kunststoffart – getrennt werden, ist ein hochwertiges Recycling kaum möglich. Unter anderem deshalb werden in Deutschland über 60% des Kunststoffabfalls immer noch verbrannt statt wiederverwendet. (Quelle: Umweltbundesamt, 2023). Die Schwierigkeit: Das Recycling von Abfällen ist einer der zentralen Bestandteile der EU-weiten Strategie für eine Kreislaufwirtschaft oder „Circular Economy“. Doch es ist immer weniger Personal verfügbar, das überhaupt so eine Arbeit übernehmen möchte. Und selbst wenn, lassen sich von Hand nicht die Mengen in der Müllsortierung bewältigen, die für eine umfassende Circular Economy nötig wären.

Wie also kann angesichts dieser komplexen Herausforderungen eine wirkungsvolle Kreislaufwirtschaft gelingen? Meine Antwort: Einfach automatisieren! Ich meine das in zweierlei Hinsicht: Die Industrie muss einfach konsequent ihre Abläufe automatisieren, wenn sie die wachsenden Nachhaltigkeitsauflagen erfüllen will. Und neue Technologien müssen es immer einfacher machen, komplexe Abläufe ohne tiefe Kenntnisse und langjährige Erfahrung in der Welt dieser Operational Technology (OT) zu automatisieren.

Unser Kunde aus der Abfalltrennung wünscht sich deshalb einen sogenannten Deltapicker, also eine Maschine, die die Abfälle selbständig sortiert. Das Gute daran: Die Transportbänder, die Abzugsschächte und das dahinterliegende logistische System hat der Kunde bereits hochintegriert automatisiert, unter anderem mit Steuerungen aus unserem Portfolio Totally Integrated Automation (TIA). Das ist eine wichtige Grundlage, damit das Unternehmen jetzt den Nutzen neuer Technologien voll ausschöpfen kann.

Schließlich steht der Deltapicker vor einer schwierigen Aufgabe: Er muss die Plastiksorten zuverlässig erkennen und in hoher Geschwindigkeit richtig zuordnen können. Außerdem muss der Roboter unterschiedlichste Teile und Kunststoffsorten sicher identifizieren, greifen und die richtige Einsortierung steuern. Und das alles soll auch noch möglichst ressourceneffizient ablaufen.

Das ist nur zu schaffen, wenn einerseits spezifische Automatisierungslösungen für jede dieser Herausforderungen gefunden werden und andererseits die unterschiedlichen Komponenten auch ineinandergreifen – quasi in einem Automatisierungsökosystem, das auf bewährten Automatisierungstechnologien aufbaut und in das Schritt für Schritt immer weitere neue Technologien integriert werden können. Und zwar nicht nur von einem Unternehmen, sondern jeweils von den Anbietern, die die besten Kompetenzen und Lösungen dafür mitbringen.

Ein paar Beispiele machen deutlich, wie das konkret aussieht:

Wenn der Deltapicker seine Aufgabe in rasender Geschwindigkeit zuverlässig erledigen soll, muss er verstehen, was er vor sich hat. Dazu muss er „sehen“ mit Kameras und „erkennen“ mit entsprechenden (KI-)Modellen. Aber bisher war es sehr aufwändig, hochwertige Industriekameras und entsprechende Bildverarbeitungsmodelle in Automatisierungssysteme zu integrieren. Spezielles Know-how war nötig, oder man musste umständlich Lösungen verschiedener Anbieter zusammenstückeln. In einem Automatisierungsökosystem, wie es z. B. Siemens auf seiner Businessplattform Siemens Xcelerator mit TIA und Industrial Operations X aufbaut, lassen sich die richtigen Kompetenzen leichter zusammenbringen. So sind in unserem Ökosystem jetzt auch entsprechende Angebote von renommierten Firmen wie Basler und MVTec vertreten – und damit ein integriertes Portfolio aus Automatisierung und Software für Machine Vision. Das schnelle Greifen und Einordnen verschiedenster Flaschen, Dosen und Packungen bedeutet auch, dass sich die unterschiedlichen Achsen des Deltapickers perfekt aufeinander abgestimmt bewegen müssen. Dafür müssen sehr komplexe Abläufe, sog. Motionprozesse, engineert werden. Früher waren dafür Spezialkenntnisse nötig, für die es heute immer weniger Fachkräfte gibt. Deshalb integriert unser bewährtes Engineering-Tool TIA Portal in seiner neuen Version (V19) jetzt alle Motion-Kernfunktionen – vom Engineering über die Steuerung bis zur Antriebstechnik. Egal, ob der zu steuernde Roboter eine einzelne Achse oder viele Achsen hat: Sie lassen sich jetzt ganz einfach engineeren, und zwar auf grafischen Oberflächen, die man auch ohne tieferes Fachwissen versteht und bedienen kann.

Eine ebenfalls riesige Entlastung werden in Zukunft die Möglichkeiten der generativen Künstlichen Intelligenz bringen: Sie kann zum Beispiel Programmierern beim Coden, beim Validieren und Optimieren von Code und bei der lästigen Dokumentation helfen. Mit unserem Industrial Copilot loten wir das gerade in einem Pilotprojekt mit dem deutschen Automobil- und Maschinenbauzulieferer Schaeffler aus. Generative künstliche Intelligenz macht aber nicht nur das Coding im Engineering effizienter, einfacher und schneller, sondern auch die Arbeit auf dem Shopfloor: Wo vorher die Menschen in der Produktion die Sprache der Maschinen lernen mussten, spricht der Industrial Copilot dank generativer künstlicher Intelligenz jetzt die Sprache der Menschen. Wenn beispielsweise eine Mitarbeiterin feststellt, dass eine Maschine nicht läuft, musste sie früher manuell nach dem Fehler suchen. Jetzt kann sie die Frage nach dem Fehler dem Industrial Copilot in natürlicher Sprache stellen und dieser schlägt auf Grundlage der vorhandenen Dokumentationen, Guidelines und Handbücher innerhalb von Minuten die richtigen Lösungsschritte vor.

Um die Abläufe in der Abfallsortierung noch weiter zu optimieren, kann unser Kunde aber noch weiter gehen: Er will herausfinden, wie ergiebig und von welcher Qualität der Abfall ist, den er von verschiedenen Anbietern einkauft? Er will wissen, ob die Greifer des Deltapickers effizient und fehlerfrei arbeiten? Oder braucht er zuverlässige Warnmeldungen, wenn die Situation an der Anlage plötzlich gefährlich für die Menschen in der Fabrikhalle wird? Für alle diese Anwendungen lassen sich auch leicht Apps programmieren, z. B. mit einer LowCode-Plattform wie Mendix. Durch die Integration mit Industrial Edge lassen sich diese Apps nahtlos in der Produktion einsetzen: Das Personal findet hier vorgefertigte Module, mit denen es die gewünschten Apps einfach und schnell entwickeln und diese dann gleich noch über Industrial Edge auf dem Shopfloor ausführen kann. So können auch kleine und mittlere Unternehmen mit ihrer vorhandenen Belegschaft die immer komplexeren Produktionsabläufe bewältigen und immer weiter verbessern.

Das alles sind bedeutende technische Meilensteine, damit Kreislaufwirtschaft überhaupt in großem Maßstab gelingen sein kann. Das ergibt aber nur Sinn, wenn auch die Automatisierungskomponenten in sich nachhaltig, sprich: ressourceneffizient, arbeiten. Deshalb sind z. B. neue Antriebstechnologien wie die Sinamics G220 von Siemens wichtig, die besonders effizient sind und dabei Kosten und Platz sparen. Denn die gesetzlichen Anforderungen für Nachhaltigkeit steigen rasant und in den nächsten Jahren treten immer mehr politische Regelungen (z. B. im Rahmen des EU Green Deal) in Kraft, darunter der Digital Product Passport, der bis 2030 für die meisten Produkte verpflichtend wird. Er soll u. a. helfen, den ökologische Fußabdruck eines Produkts einheitlich auszuweisen. Damit hierfür durchgängig standardisierte Daten ausgetauscht werden können, engagiert sich Siemens schon jetzt in deutschen und internationalen Initiativen, beispielsweise Manufacturing-X, Factory-X, Catena-X oder Digital Data Chain. Für unsere eigenen Produkte sind die relevanten Umweltdaten übrigens schon jetzt per QR-Code, dem sog. ID Link, leicht abrufbar – ein wichtiger Schritt, um das in Zukunft für die ganze Industrie nutzbar zu machen.

„Einfach automatisieren“ hat also viele Facetten und Siemens stellt auf seiner offenen Businessplattform Siemens Xcelerator ein ganzes Ökosystem passender Lösungen dafür zusammen. Schon im November 2023 haben wir viele neue Innovationen daraus auf der SPS-Messe in Nürnberg gezeigt – und auf der Hannover Messe 2024 geht es weiter: beispielsweise mit der neuen Controller-Generation S7-1200 G2 für vielseitige, hochpräzise Automatisierungsanwendungen, mit Technologien, die Roboter komplexe Artikel ohne Training greifen und optimal platzieren lassen, oder mit Lösungen, die die Lücke zwischen Edge und Cloud Computing und damit zwischen der digitalen und der realen Welt schließen. Ich hoffe, wir sehen uns in Hannover am Siemens-Stand in Halle 9 – ich freue mich auf Sie!

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